5 1/2 Gründe für das Berliner Sechstagerennen

6Tage_CollageDa ich in meinem Leben selbst noch nie die Gelegenheit hatte, auf einer Radrennbahn zu fahren, lag in den vergangenen Jahren mein persönliches Interesse eindeutig beim Straßenradsport und den damit verbundenen diversen Hobbyveranstaltungen. Hallenradsport und damit Veranstaltungen wie das Sechstagerennen hatte ich bislang in keinster Weise im Fokus, da diese für mich eine ganz ähnliche Bedeutung hatten wie Hallenfußballturniere, nämlich keine. Denn bis dato war ich der Meinung, der echte Kettenritter gehört auf die Straße. Seit meinem Besuch beim Berliner Sechstagerennen denke ich aber darüber etwas anders. Wieso dem so ist, soll anhand von 5 1/2 Gründe erklärt werden.

Punkt eins sind ganz klar die sportlichen (Höchst)leistungen und dafür gibt es mehr als nur einen Beleg. An erster Stelle erwähnt seien hier alle 16 Zweierteams, welche die sechs Tage in Berlin maßgeblich geprägt haben. Das 16. und damit letztplatzierte Team David Muntaner und Albert Torres hatte am Ende (sturz- und verletzungsbedingt) zwar 28 Runden Rückstand. Aber sind die beiden nicht genauso, wie die Sieger Andreas Müller und Kenny de Ketele und alle anderen 28 Starter wahre Kettenritter? Es war bewundernswert, mit welchem Tempo und welcher Präzision ungezählte hunderte oder gar tausende Runden absolviert wurden, wie rasant die Wechsel der Fahrer untereinander im „Schleudergriff“ erfolgten, wie die Fahrer in noch so rasender Fahrt und dem von außen betrachtet größtem Chaos ganz lässig den Überblick behielten und das, ohne auch nur etwas Geschwindigkeit zu verlieren. Denn wer bremst verliert, insbesondere wenn keine Bremsen vorhanden sind. Selbstverständlich sollen auch die Sprinteinlagen von Robert Förstemann und Maximilian Levy und die dabei erzielten Spitzengeschwindigkeiten von über 70 km/H und auch die ganz speziellen Derny-Fahrer, die wie aus einer anderen Zeit daher kommend wirken, erwähnt werden. (zum Ansehen der Bildergalerie einfach anklicken)

Aber sind die Derny´s Sport, Show oder gehören einfach zur Tradition? Ich denke von allem ein bißchen und damit sind wir bei meinem zweiten Grund für das Berliner Sechstagerennen angekommen: der Tradition. Kann diese noch mehr unterstrichen werden, als durch die Tatsache, dass Berlin bereits sein 103. (!!) Sechstagerennen erleben durfte? Bereits 1909 fand hier das erste Sechstagerennen statt. Gibt es irgend ein Radsportevent auf der Welt, welches schon häufiger stattgefunden hat? Nur zum Vergleich: das berühmteste Straßenrennen – die Tour de France – findet in diesem Jahr „erst“ zum 101. Mal statt.

Der dritte Grund ist das (überwiegend) Berliner Publikum! Und das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ganz allgemein ist das Berliner Publikum ja doch als sehr kritisch bekannt und bewies das in der Vergangenheit auch bei sämtlichen von mir erlebten Profisportveranstaltungen, sei es beim Basketball von ALBA BERLIN, beim Handball und den BERLINER FÜCHSEN, beim Eishockey der EISBÄREN oder auch insbesondere beim Fußball und der HERTHA in Perfektion. Sobald es für das Heimteam nicht richtig läuft oder diese gar im Rückstand liegt, ist die Stimmung im Eimer. Das war hier komplett anders! Von der ersten bis zur (beinahe hätte ich 90. geschrieben) zur letzten Minute war hier die Stimmung, ja man muss sagen, ausgelassen.

Auffällig war daneben die Altersstruktur der Zuschauer. Diese waren hier weitestgehend aus den etwas älteren Semestern, aber dafür hatte man das sehr wohlige Gefühl, hier sind sehr fachkundige und alteingesessene Original-Berliner am Start. Wie schön das war! Und was dazu sehr angenehm auffiel: die waren alle richtig nett! Hat sich nicht der Berliner im Allgemeinen weltweit hart den Ruf erarbeitet, besonders unfreundlich  zu sein? Vielleicht haben die vielen älteren Fans das an diesem Abend auch einfach nur vergessen, aber dem war im Velodrom nicht so. Hier gab es kein Gemeckere, wenn man sich zum zehnten Mal durch die engen Sitzreihen drängelte oder man eine gefühlte Ewigkeit vor den Fans in der ersten Reihe stand, um Fotos zu machen.
Nach Angaben des Veranstalters wurde das diesjährige Sechstagerennen von 75.000 Menschen besucht. Das ist ein komplett gefülltes Berliner Olympiastadion oder pro Tag 12.500. Das der Radsport, insbesondere in diesen latent dopingversuchten Zeiten, eine solche Anziehungskraft ausüben kann, ist faszinierend und kann in erster Linie nur mit den bereits skizzierten sportlichen Leistungen und perfekten Rahmenbedingungen begründet werden.

Und damit sind wir beim vierten Punkt meines kleinen Plädoyers für das Sechstagerennen in Berlin: die ganz besondere Atmosphäre. Wie schon zuvor beschrieben wird diese ganz besonders geprägt durch das etwas gesetztere, aber sehr interessierte und vor allem fachkundige Publikum. Natürlich wurden auch hier die Lokalmatadoren besonders lautstark angefeuert, aber letztlich galten die Anfeuerungen allen Protagonisten auf dem runden Oval. Da wurden die Rundengewinne der am Ende platzierten Teams genauso frenetisch bejubelt, wie die der Konkurrenten um den Gesamtsieg. Und wenn nötig kamen in regelmäßigen Abständen, wie durch ein geheimes Kommando, durch einen großen Teil der Fans die Trillerpfeifen zum Einsatz. Dass außerdem die für solcherart sportliche Großverantsaltungen üblichen begleitenden Instrumente Musik und Licht perfekt eingesetzt wurden, versteht sich hier fast von selbst, auch wenn die Ankündigung einer „Lichtshow“ vielleicht etwas übertrieben war. Aber was soll´s, es hat in den gesamten Rahmen gepasst.

Diesen perfekten Rahmen verdanken die Fans den Organisatoren und Veranstaltern um Dieter Stein. Die Organisation als solche hat sich den Rang fünf meiner Auflistung wahrlich verdient. Das beginnt beim super organisierten Einlass und der bestens geklappten Kartenhinterlegung, geht beim perfekt getimten sportlichen Ablauf und den grandiosen beiden Hallensprechern weiter und hört beim kulinarischen Angebot in der Halle auf. Der Kettenritter und seine Begleitung hatten mangels vorheriger Erfahrungswerte, die Befürchtung, dass es im Rahmen der Veranstaltung nur Currywurst, Bulette und Pommes geben wird, was ja auch passend gewesen wäre. Aber die dann gebotene kulinarische und Getränkevielfalt überraschte dann doch extrem positiv. Wer konnte denn auch ahnen, dass einem hier sogar Flammkuchen geboten wird? Und apropos Hallensprecher! Was die beiden Herren in der Halle über etliche Stunden abgezogen haben, ist schlichtweg der Hammer. Die beiden würden mit größter Wahrscheinlichkeit jeden Schnellsprechwettbewerb für sich entscheiden und jeden nach 90 Minuten erschöpften Radio-Fußballkommentatoren locker in die Tasche stecken. Das verdient allerhöchsten Respekt!

Und damit nun zum letzten und nur halben, weil nicht ganz ernst gemeinten Grund meiner Aufzählung: KURT! Mit Kurt ist schlicht und ergreifend der Kurt von Frank Zander gemeint. Auch wenn man nicht zu den Fans der seichten deutschen Unterhaltungsmusik gehört, muss konstatiert werden, nichts passt als Unterhaltungsprogramm besser zum Sechstagerennen, als Frank Zander. Seine schnoddrige Berliner Art, seine coole bis plumte Bühnenperformance und seine – bei allem gebotenen Respekt – Altersklasse passen einfach perfekt in diesen Rahmen.

Deswegen bleibt am Ende zusammenfassend festzuhalten, dass das Berliner Sechstagerennen eine Werbung für den Radsport war und dieses für Berlin fast genauso bedeutsam sind, wie der Fernsehturm und das Brandenburger Tor. Der Kettenritter freut sich auf jeden Fall auf  das 104. Berliner Sechstagerennen in 2015 und bedankt sich noch eimal ganz herzlich bei Herrn Lee vom Veranstalter für das Ticket.

Die abschließenden detaillierten Ergebnisse können übrigens hier nachgelesen werden.

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